Das ist gerade ein irritierendes Gefühl, das auch die Gegner das Urteil dermaßen euphorisch umjubeln.
Das Bundesverfassungsgericht hat den Ratifizierungsprozess in Deutschland zum EU-Reformvertrag von Lissabon vorerst gestoppt. Dem am Dienstag in Karlsruhe verkündeten Urteil zufolge ist der Vertrag zwar mit dem Grundgesetz vereinbar, aber das Begleitgesetz dazu sei verfassungswidrig, weil es Bundestag und Bundesrat keine ausreichenden Mitspracherechte einräume.
Der Lissabon-Vertrag sei tot, der Untergang wäre abgewendet und so. Jetzt mehrmals gelesen.
Klar beim ersten Lesen hört sich das toll an, die Regierung wird doch nicht entmachtet und gibt ihre Souveränität an die EU-Diktatur ab.
Aber natürlich wurde der Lissabon-Vertrag nicht getötet, denn laut dem Urteil soll er mit dem Grundgesetz vereinbar sein.
Und zudem freut sich ja unsere geliebte Bundesregierung nach einem kleinen Schock gleich mit. Merkel sagt sogar, «Es ist ein guter Tag für den Lissaboner Vertrag».
Und im Propaganda-Spiegel u.a.:
Das Bundesverfassungsgericht betone in seinem Urteil, dass „Deutschland ein souveräner Staat bleibt“, freute sich auch Innenminister Wolfgang Schäuble (CDU). Das Ratifizierungsverfahren werde zu einer Verbesserung der Legitimation von Entscheidungen auf EU-Ebene führen, sagte Schäuble, dies könne der „Demokratie und der Akzeptanz europäischer Politik in Deutschland nur helfen“.
…
Zufriedene Stimmen auch in der SPD: Außenminister Frank-Walter Steinmeier freute sich, dass das Gericht den Vertrag für „voll umfänglich“ mit dem Grundgesetz vereinbar erklärt habe. Deutschland sei nicht gehalten, auf europäischer Ebene erneut in Verhandlungen einzutreten oder Vorbehalte zu erklären, sagte Steinmeier, der bei der Urteilsverkündung in Karlsruhe anwesend war.
Ich finde in der Aussage interessant, in dem Urteil heißt es Ja mit Einschränkungen, Steinmeiner nennt es aber „voll umfänglich mit dem Grundgesetz vereinbar“. Und ich will schon gehäßig behaupten, wenn Schäuble sich freuend tut, dann kann nur was im Busch sein.
Und sogar Brüssel lässt bei dem Urteil die Korken knallen.
Das lässt auf mich auch eher den Schluss zu, die Einschränkungen sind gar nicht so wichtig, und der Lissabon-Vertrag sei damit nicht wirkungslos, wie es teilsweise auch gerne behauptet wird. Wie ich das verstehe, braucht jediglich Bundestag/Bundesrat mehr „Kompetenz“, das Bundesverfassungsgericht das letzte Wort, und schon geht das ganze Ding durch. Und wenn ich mir die Entscheidungen unserer Regierung anschaue, die ja auf einer Wellenlänge der EU sind, werden sie einfach die Gesetze auf nationaler Ebene durchwinken, und alles in Butter. Zudem kommt ein Großteil unserer Gesetze schon von der EU-Kommission. Und solche Granaten wie der EU-Präsident sind damit auch nicht vom Tisch.
Interessant finde ich auch im Zusammenhang, das ja „die ganze EU auf das Urteil gewartet hat“, dass das bis jetzt von unseren Medien totgeschwiegen wurde, passt doch super zusammen.
Auch zum Nachdenken:
Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts bestätigt schlimmste Befürchtungen. Genau wie zu erwarten war: Ablehnung der Klagen – mit einer kleinen aber juristisch „heilbaren“ Einschränkung – sozusagen das „Zuckerl“ für die kritische Öffentlichkeit. Und das juristische Feigenblatt, um den Rechtsstaat wenigstens noch zu heucheln. Dies ist zugleich das erwartete Zugeständnis („Ja, aber…“) an die Kläger, das den EUliten nicht wirklich weh tun wird.
Die Einschränkung, die das BVG gemacht hat, betrifft die offensichtlich auch mit noch so perfiden juristischen Verrenkungen nicht wegzudiskutierende Verfassungswidrigkeit der Selbstentmachtung des Bundestags in der Frage der Entscheidungsgewalt bei Verteidigungs- und Kriegsfragen. Zudem wurde die Übertragung der sog. „Kompetenz-Kompetenz“ an die EU gestrichen, was in der Praxis aber eher ein symbolisches Zugeständnis ist.
Der Bundestag muss nun noch einige gesetzlichen Ergänzungen machen, bevor die Ratifikationsurkunde hinterlegt werden kann. Der vorsitzende Richter Voßkuhle selbst (!) hat aber direkt und offensichtlich für die Kameras / die Öffentlichkeit ausgeführt, dass „der Senat zuversichtlich“ sei, dass dies „zügig geschehen“ könne.
…
Dass die Ernennung (der EU-Kommissare) und die höchst indirekten „demokratischen“ Wahlen der EU-Organe in der Praxis mit Demokratie fast nichts mehr zu tun haben, interessiert das BVG nicht.
BverfG: Lissabon-Vertrag entschärft
Ich frage mich schon, ob es überhaupt ein „Teilsieg“ ist, und nicht einfach nur ein weiteres Symbol, welches man präsentieren kann, wie toll unser „Rechtsstaat“ doch funktioniere. Jedenfalls ist der Vertrag nicht aus dem Rennen, und unsere Regierung kann sich damit rühmen, die „Demokratie“ werde noch gestärkt…